Duplexstahl (1.4462) für Straßentunnel Innovativer Ansatz für nachhaltigen Korrosionsschutz
Mit dem Ziel, den Betrieb von Straßentunneln nachhaltiger zu machen und die Tunnelsicherheit weiter zu verbessern, hat Straßen.NRW 2017 ein Forschungsprojekt initiiert: „Innovation und Sicherheit durch Einsatz von Duplexstählen in Straßentunneln“ – so der Titel. Im Ergebnis sollen innovative, rostfreie Stähle identifiziert und für den Einsatz in Straßentunneln qualifiziert werden, die besonders für die Betriebs- und Sicherheitsausstattung (BSA) in hochkorrosiven Tunnelatmosphären geeignet sind.
Bisher verwendete Werkstoffe in Straßentunneln zeigten trotz ihrer beschriebenen Eignung in bestehenden Regelwerken nach relativ kurzer Zeit deutliche Anzeichen von Korrosion. Der Duplexstahl 1.4462 (Werkstoffbezeichnung X2CrNiMoN22-5-3) konnte in der Studie überzeugen – und wurde nun erstmalig Ende 2024 von Straßen.NRW in einem Straßentunnel verbaut.

In einem Nachrüstungsprojekt wurde der Werkstoff Duplexstahl 1.4462 für die Betriebs- und Sicherheitstechnik im Tunnel Menkhauser Berg (L751, Oerlinghausen) konsequent eingesetzt. Auch weitere Tunnel sollen umgerüstet werden. Straßen.NRW zählt damit europaweit zu den Vorreitern bei der Verwendung des Duplexstahls außerhalb des Offshore-Bereichs (u.a. Bohrinseln und Windenergieanlagen im Küstenvorland).
Mit dem Einsatz des innovativen Materials verlängert sich zum einen die Lebensdauer der Tunnelinfrastruktur inklusive der verbauten Technik. Damit steigen auch Tunnelsicherheit und -verfügbarkeit. Perspektivisch sind weniger Sperrzeiten notwendig, da Wartungsaufwände – und die damit verbundenen -kosten – sich verringern. Verkehrsteilnehmende müssen weniger häufig Umwege und einen Mehrverbrauch von Kraftstoff in Kauf nehmen. Die zusätzlichen CO2-Emissionen entfallen.
Das Problem mit der Korrosion („Rost“) in Straßentunneln
Straßentunnel stellen aufgrund ihrer besonderen Umweltbedingungen eine extreme Herausforderung für den Korrosionsschutz dar. Emissionen aus dem Kfz-Verkehr, wie Sulfat (SO₄²⁻), entstanden aus Schwefeldioxid (SO₂), und Nitrate (NO₃⁻, entstanden aus reaktivem Stickstoff ) sowie Chloride (Cl-) aus Streusalz tragen zu einer hohen „Korrosivität“ in Tunneln bei. Im Gegensatz zu Außenbereichen fehlt der reinigende Effekt durch Regen, der die atmosphärischen Verunreinigungen – einfach gesagt: Schmutz und korrosiv wirkende Ablagerungen – abwaschen könnte.
In Verbindung mit Feuchtigkeit kommt es durch die sogenannten Korrosionsprodukte zu einer Absenkung des pH-Wertes, was sich je nach Stahlsorte negativ auf die Komponenten im Tunnel auswirkt. Das Milieu wird also sauer und hat eine zunehmende Zersetzung der verbauten Werkstoffe zur Folge – eine chemische Reaktion, an der auch die Bildung von Wasserstoff beteiligt ist, setzt sich in Gang. Die Bildung von Wasserstoff, gefördert durch die pH-Wertabsenkung, begünstigt Korrosion. Wasserstoff greift das Metall in engen Spalten an und die Struktur des unter mechanischer Spannung stehenden Bauteils wird geschwächt, was zur Materialversprödung, Rissbildung und schließlich zur Korrosion an den ansonsten rostfreien Stählen führt – umgangssprachlich gerne als „Rost“ bezeichnet. Die zumeist langanhaltende Feuchtigkeit auf den Komponenten der Betriebs- und Sicherheitsausstattung (BSA) beschleunigt den Zersetzungsprozess zusätzlich. Korrosionsanfällige Bauteile müssen deshalb regelmäßig aufwändig gewartet und die korrosiv wirkenden Stoffe mit Wasser abgewaschen werden. Dies führt allerdings nicht immer zum erwünschten Ergebnis; im schlechtesten Fall müssen die Bauteile und Komponenten der BSA bereits wenige Jahre nach dem Einbau – meist mit hohem Aufwand – ausgetauscht werden.
Sogenannte „rostfreie“ Stähle sind im Straßentunnelbau weit verbreitet. Sie sind durch einschlägige Regelwerke in ihrer Qualität vorgegeben und werden für den Bau und die Konstruktion der BSA standardmäßig verwendet. Aus ihnen werden Bauteile wie Kabeltragsysteme, Strahlventilatoren, Fluchttüren und Leuchtengehäuse bis hin zu massiven Schilderbrücken hergestellt. Es zeigte sich jedoch, dass die bis dato eingesetzten rostfreien Stähle (Werkstoffe mit der sogenannten Korrosionsbeständigkeitsklasse CRC III (3) in bestimmten Bauteilbereichen immer wieder Korrosionsschäden aufwiesen. Bis vor wenigen Jahren wusste man jedoch nicht, warum rostfreier Stahl in einem Straßentunnel korrodiert.
Langzeitstudie zum Korrosionsverhalten
Straßen.NRW hat über einen Zeitraum von sieben Jahren (Stand 2024) das Korrosionsverhalten verschiedener rostfreier Stähle, darunter auch sogenannte Duplexstähle, in verschiedenen Tunnelumgebungen in einer (fortdauernden) Langzeitstudie untersucht. Die Studie wird gemeinsam mit der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM), der Informationsstelle Edelstahl Rostfrei (ISER) sowie weiteren Partnern durchgeführt.
Seit 2017 wurden in drei Straßentunneln mehr als 250 Prüfteile aus verschiedenen Stahlqualitäten auf ihre Korrosionsbeständigkeit hin untersucht. Untersucht wurde auch, welche Stoffe bzw. Korrosionsprodukte sich auf den Bauteiloberflächen ablagern und wie lange ein Bauteil mit Feuchtigkeit belastet ist. Die Prüfteile wurden an den Wänden und Decken im Tunnel Wersten (A46, Düsseldorf), Tunnel Burgholz (L418, Wuppertal) und im Elbtunnel (A7, Hamburg) ausgelagert.
Im Laufe der Untersuchung zeigte sich, dass sich die Korrosivität im Tunnelwandbereich etwas anders verhält als im Deckenbereich. Die Korrosivität, welche nach einer strengen DIN EN ISO 9223 ermittelt werden muss, zeigte sich im Bereich der Tunneldecke bei bestimmten Prüfteilen auffälliger als im Wandbereich. Zudem ist nicht jeder Tunnel gleich korrosionsanfällig. Es gibt individuelle Unterschiede. Faktoren wie die Lage des Tunnels im Straßennetz, die Nähe zu Industriestandorten sowie die Tunnellänge können neben dem durchschnittlichen, täglichen Verkehr und dem Schwerlastverkehr ebenfalls Einfluss auf die jeweilige Tunnelatmosphäre zu haben.
Korrosionsbeständiger Duplexstahl 1.4462
Aus der Untersuchung tat sich der Duplexstahl 1.4462 (CRC IV (4)) als besonders geeignet für den Einsatz in Tunnelumgebungen hervor. Dieser Stahl, der in seiner inneren Struktur über ein sogenanntes austenitisch-ferritisches Metallgefüge verfügt, hält den anspruchsvollen Tunnelbedingungen nachhaltig stand. Das austenitisch-ferritische Gefüge des Duplexstahls 1.4462 verleiht dem Stahl eine deutlich höhere Festigkeit als Standardausteniten wie 1.4404 oder 1.4571 (beide CRC III (3)) sowie eine erhöhte Beständigkeit gegenüber Korrosion, insbesondere Spalt- und Spannungsrisskorrosion. Mit der Korrosionsbeständigkeitsklasse CRC IV (4) zeigt der Stahl also eine überlegene Beständigkeit gegenüber den anspruchsvollen Tunnelbedingungen.
Um die Korrosionsbeständigkeit der verwendeten Stähle weiter zu erhöhen, soll zukünftig auf spaltreiche Konstruktionen wie z. B. Blechüberlappungen mit Nietverbindungen bestmöglich verzichtet werden. Konstruktionen der Betriebs- und Sicherheitsausstattung (BSA) sollen vorzugsweise geschweißt werden. Sofern notwendigerweise Verbindungsmittel eingesetzt werden müssen, wie zum Beispiel Schraubverbindungen, so eignet sich dafür ebenfalls Duplexstahl 1.4462 (CRC IV (4)) oder höher legierte Materialien wie der Werkstoff 1.4529 (CRC V (5)).
Rostfreie Stähle, die eine geringere CRC besitzen, sind besonders anfällig gegenüber Spalt- und Spannungsrisskorrosion. Spaltkorrosion tritt verstärkt bei Werkstoffen innerhalb der CRC III (3) in Bereichen mit konstruktiv bedingten Spalten bzw. Montagespalten auf. Die Forschungsergebnisse haben gezeigt, dass die bisher für Straßentunnel üblichen Stähle der Korrosionsbeständigkeitsklasse CRC III (3) gemäß DIN EN 1993-1-4 (Eurocode 3) für Anwendungen im Bereich der Verbindungstechnik in Straßentunneln – wie etwa Schrauben und Nieten – allgemein nicht geeignet sind. Bereits nach drei bis fünf Jahren zeigen sich deutliche Spuren von Korrosion. Mit fortschreitender Nutzungsdauer steigt damit das Risiko für Bauteilversagen.
Pilotprojekt im L751 Tunnel Menkhauser Berg
Straßen.NRW verbaute den Duplexstahl 1.4462 erstmalig Ende 2024 in einem Straßentunnel, den Tunnel Menkhauser Berg (L751, Oerlinghausen). Die Betriebs- und Sicherheitstechnik wurde umfänglich modernisiert: Die drei neuen Strahlventilatoren wurden nahezu vollständig aus Duplexstahl 1.4462 gefertigt. Dadurch erwartet Straßen.NRW, dass sich die Nutzungsdauer der Ventilatoren auf 35 + X Jahre erhöht und sich der Wartungs- und Instandhaltungsaufwand deutlich reduziert – zugunsten der Tunnelverfügbarkeit. Mit den bisher verwendeten Stahllegierungen lag die erwartete Nutzungsdauer erfahrungsgemäß zwischen 12 und 20 Jahren. Zusätzlich wurde der Antriebsmotor der neuen Ventilatoren mit einer speziellen Beschichtung versehen, die der aggressiven Tunnelatmosphäre mindestens über 25 Jahre standhalten kann. Es wurden außerdem rund 2.100 Verbindungsmittel – zumeist Schrauben und Muttern – mit dem besonders korrosionsbeständigen Duplexstahl verwendet. Das Risiko eines plötzlichen Versagens durch Spalt- bzw. Spannungsrisskorrosion wird damit um ein Vielfaches geringer. Es geht gegen Null. Damit ist ein höherer Grad an technischer Sicherheit erreicht.
Bildergalerie Menkhauser Tunnel
Technische Daten der Betriebs- und Sicherheitsausstattung
- Drei neue Strahlventilatoren aus Duplexstahl 1.4462 (exklusive Motorwelle, Laufrad und Aufhängekonstruktion – diese ist noch korrosionsbeständiger). Im Brandfall leiten die unter der Decke angebrachten, großen Ventilatoren den Rauch über ein komplexes Regel- und Steuerungskonzept durch eine exakt berechnete Strömungsgeschwindigkeit ab, sodass im heißen Rauch kaum Verwirbelung entsteht und die Personen im Tunnel die Notausgänge sicher erreichen können. Der Motor ist in seiner Drehzahl veränderbar, womit sich auch der Schub der großen Ventilatoren auf ein weniger kraftvolles Niveau regulieren lässt. Jeder Ventilator wiegt etwa 1.100 Kilogramm, hat einen Außendurchmesser von 1,45 Meter und ist 4,4 Meter lang Jeder der der drei Strahlventilatoren entwickelt eine Schubkraft, um die ca. 55,2 Tonnen schwere Luftsäule in der Tunnelröhre unter Normalbedingungen in rund 80 Sekunden auf 2,0 m/s (7,2 km/h) zu beschleunigen.
- Antriebsmotor-Beschichtung – gemäß DIN 12944-5 C5 (vh) – Sollschichtdicke des Beschichtungssystems insgesamt 320 µm.
- 2.100 Schrauben an Kabeltragsystemen aus Duplexstahl 1.4462.
- Stiele zur aerodynamisch verbesserten Anordnung der Si-Messungen aus Duplexstahl 1.4462. Diese Sensoren sind unter der Tunneldecke angebracht und messen dauerhaft die Sichttrübung. Gesteuert und geregelt werden die Ventilatoren über die automatisierte Leittechnik des Tunnels. Über drei Messquerschnitte der Strömungsmesssensorik im Tunnel wird die Leittechnik mit den aktuellen Strömungsmesswerten im Tunnel versorgt und regelt so im Bedarfsfall automatisiert die Drehzahl der Motoren und damit zugleich den Schub der Lüfter. Wenn die Ventilatoren in Betrieb sind, wird die neuen Belüftungsanlage des Tunnels Menkhauser Berg also IT-gestützt und dem Stand der Technik entsprechend betrieben.
Weniger Wartungsaufwand – kürzere Sperrzeiten – mehr Sicherheit
Bisher musste die Sicherheits- und Betriebstechnik im Tunnel regelmäßig aufwändig gewartet und sorgfältig gereinigt werden, unter anderem um der Korrosion entgegenzuwirken – mit eher mäßigem Erfolg. Mit dem Einbau der neuen Stahlelemente aus Duplexstahl 1.4462 verkürzt sich der Wartungsaufwand der Straßentunnel deutlich und damit die zu Wartungszwecken notwendigen Tunnelsperrzeiten. Kürzere Tunnelsperrzeiten kommen auch den Verkehrsteilnehmenden zugute. Unter anderem werden Mehrreisezeiten durch Umleitungen und damit auch Kraftstoff sowie Schadstoff- und Klimaemissionen eingespart. Die durch Tunnelsperrzeiten entstehenden volkswirtschaftlichen Kosten, die pro Tag im unteren bis oberen sechsstelligen Bereich liegen können.
Innovative Materialien wie Duplexstahl sind ein sinnvoller Lösungsansatz, um den Korrosionsproblemen in Straßentunneln nachhaltig entgegenzuwirken und überzeugen mit weiteren positiven Effekten. Durch den gezielten Einsatz korrosionsbeständiger Materialien und der Optimierung der Konstruktionsmethoden können nicht nur die Wartungskosten gesenkt, sondern auch die Sicherheitsstandards in Tunneln signifikant erhöht werden. Der Einsatz von Duplexstahl stellt somit einen wichtigen Schritt in Richtung einer sicheren, langlebigen Tunnelinfrastruktur dar.